Presseartikel 24.Dezember 2017

 

Goslarsche Zeitung

 

"Wir halten zusammen - wie in einer Familie"

 

Die Besucher der Zille feiern gemeinsam Weihnachten

 

von Silja Meyer-Zurwelle

 

DIE REPORTAGE: An Weihnachten denke ich viel an meine verstorbenen Eltern“, sagt Christian Christ. Der 56-jährigie hat in seinem Leben schon so einiges durchgemacht. Er war arbeitslos, obdachlos Und alkoholsüchtig. „Seit vier Jahren bin ich trocken“ sagt er. Ein leichter Schlaganfall gab den Auslöser für ihn, die letzte Kiste Bier zu verschenken. Und es war der Tagestreff Zille, in dem er nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern auch ein zweites Zuhause fand.
Es ist 9 Uhr. Um diese Zeit hat der derzeit ehrenamtliche Hausmeister der Zille schon drei Stunden Arbeit hinter sich. Er steht jeden Tag um 5 Uhr auf, um rechtzeitig den Zug von Oker nach Goslar zu erwischen. „Ich hab` einen Schlüssel für die Zille und bin meistens der Erste der da ist. Zu Hause rumsitzen geht nicht. Immer nur die Bildröhre hln- und herschalten geht nicht. Ich muss was tun können“ sagt Christian Christ. Und man hört in seiner Stimme, wie wichtig ihm die Arbeit ist.

 

GZ - Weihnachten 2016 in der Zille
An Weihnachten zeichnen Gerhard Lehmbruch und Thomas Donner (linkes Bild. v.li.) fur das Festtagsmenü verantwortlich. Christian Christ (nechtes Blld) wird dann ebenfalls mit seiner Famille in die Zille kommen. um den Heiligabend innerhalb der Gemelnschaft zu verbringen.
Fotos: Meyer-Zurwelle

 

Wir halten zusammen - Wie in einer Familie“, findet auch Claudia Gebhardt. Die vierfache Mutter arbeitet in der Küche mit und hat sich zur Kaffeepause mit Christian Christ an den Tisch im Aufenthaltsraum gesetzt. Eine wohlverdiente Pause, denn die beiden haben gerade erst die Tagestreff- Geschäftsführerin Evelin Vopel geholfen, 60 Weihnachtspäckchen für den Heiligabend zu packen.
Jeder Besucher der Zille soll zu Weihnachten ein solches Paket mit Kaffee, Wurst, Erdnüssen, einem Marzipanbrot und Schokolade bekommen. Auch an Heiligabend hat die Zille geöffnet. Dann kochen die ehrenamtlichen Mitarbeiter Thomas Donner, Thomas Pieper und Gerhard Lehmbruch das Festtagsmenü. Es gibt ganz traditionell Kartoffelsalat und Würstchen. Am ersten Weihnachtstag stehen dann Gänsekeulen auf dem Programm. Evelin Vopel weiß, dass man bei den Dreien — die innerhalb der Zille nur „Döni“, „Pieper“ und „Kalle“ gerufen werden - dann nicht dazwischenunken darf: „Die Truppe istein, eingeschweißtes Weihnachts-Kochteam.“ Auch Christian Christ, will Heiligabend dabei sein: „Da kommen wir zum Mittagessen“, sagt er. Mit „Wir“ meint er, sich und seine Lebensgefährtin Nina, die oft in der Zille dabei ist.
„Wenn ich Heiligabend das Ave Maria höre, werde ich schnell nachdenklich. Erinnere mich an die Verstorbenen. Wenn ich vorm Baum sitze und die Lichter glänzen, dann fühlt es sich an, als wären sie alle da“. sagt Claudia Gebhardt. Es sei eine Zeit der Besinnung, findet die gebürtige Goslarerin.
Für sie ist es die erste Weihnachtszeit in der Zille: „Ich bin erst seit September dabei. Aber ich fühle mich hier wohl und habe sofort die starke Gemeinschaft gespürt.“ Momentan arbeitet sie noch über das Ein-Euro-Job-Prinzip in der Küche mit. „Ab Januar muss ich wieder sechs Monate warten, bevor das so wieder möglich ist“, erklärt sie. Bis dahin will sie – genau wie Christian Christ - ehrenamtlich weitermachen.

GZ - Weihnachten 2016 in der Zille
Claudia Gebhardt (rechtes Bild) rührt die Sahne für eine Quarkseies an, die als Nachtisch auf dem Tagesmenü steht. „In der Küche muss ich vielseitig sein. Es gibt immer eine Menge zu tun“, sagt sie. Der Gemeinschaftsraum (Bild oben) ist ein beliebter Treffpunkt: zum Kaffeetrinken und zum Austausch der Neuigkeiten.

 

Und auch Gebhardt startet den Tag sehr früh. Morgens ist sie zusammen mit ihrem Mann als Zeitungsträgerin unterwegs. Danach lege ich mich anderthalb Stunden auf’s Ohr, bevor es hier in der Zille weitergeht “, sagt sie. Sie ist stolz auf ihre Arbeit bei der Zeitung und in der Zille-Küche. „Für meinen Mann ist das noch ein bisschen unwohnt, dass ich täglich hier im Tagestreff bin“, sagt sie. Die bei den haben schwere Zeiten hinter sich. Nachdem sie vor vielen eine Krebserkrankung überstanden hat, erkrankte ihr Mann vor acht Jahren daran. Mittlerweile kann auch er wieder arbeiten. Zusammen mit Claudia Gebhardt sind in der Küche der Zille täglich vier Mitarbeiter am Werk. „Meine Aufgaben sind sehr vielfältig: Mal stehe ich am Herd, mal schäle ich das Gemüse“,’erklärt sie.
Die Herausforderung sei natürlich eine andere als zu Hause. „Dort habe ich für sechs gekocht, hier kochen wir für 40 bis 50 Gäste sagt Claudia Gebhardt.
„Die Zahl der Mittagstisch-Gäste ist in diesem Jahr noch mal gestiegen“, weiß Evelin Vopel. „Wir hatten täglich zehn Besucher mehr, als noch im letzten Jahr“, sagt sie. Vopel vermutet, dass das mit der generellen Armutsentwicklung in Deutschland zu tun hat. Gerade in der Adventszeit und generell im Winter sei der Anstieg der Gästezahlen, die ihren Weg in die Zille fänden, spürbar, sagt sie. Wenn ‘es frühmorgens bitterkalt draußen ist, brennt in der Zille schon Licht und im Frühstücksraumim Erdgeschoss erwartet die Besucher heißer Kaffee. „Kaffee ist ein bisschen zu meinem Ersatz geworden, seitdem ich trocken bin. Davon trinke ich ziemlich viel“, sagt Christian Christ.

 

Er habe sich in den letzten 20 Jahren sehr verändert. „Mit der Sauferei hat es sich. Damals war ich obdachlos, bin von einer Stadt zur nächsten gewandert. Jetzt habe ich eine Wohnung und die Arbeit. Den Geruch von Alkohol kann ich nicht mehr ab“, erklärt der Hausmeister.
Es ist kurz vor Mittag. In der Zille herrscht Hochbetrieb, aus dem nebenan ‚liegenden Gemeinschaftsraum schallt ausgelassenes Gelächter. Christian Christ schmunzelt. Um seine strahlend blauen Augen bilden sich kleine Lachfältchen. „Heute fühle ich mich sauwohl“, sagt er.