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Presseartikel 24.Dezember 2011

 

Goslarsche Zeitung

 

Gemeinsam gegen den Festtagsfrust

 

Wie der Heilige Abend in der „Zille" gefeiert wird

 

Von Tanja Plock

 

GOSLAR/Ks. An Weihnachten werden viele sentimental, während andere glücklich unter dem Weihnachtsbaum sitzen. Was ist falsch gelaufen in meinem Leben? Was hätte ich anders machen können? Wer alleine unterm Tannenbaum sitzt, dem fällt schnell die Decke auf den Kopf. Wohl zu keinem anderen Fest werden einem die eigenen Probleme so deutlich vor Augen geführt wie beim Fest der Liebe. Im Tagestreff „Zille" in Goslar können die Besucher ihre Ängste und Sorgen zu Hause lassen und ein wenig Weihnachtsstimmung genießen. Anja M.* umklammert ihre Kaffeetasse. Die wilden roten Haare sind zum Zopf nach hinten gebunden. Heiligabend will sie im Tagestreff verbridgen. Enge Verwandte hat sie keine mehr. „Zu Hause erinnert mich das zu sehr an meine Familie. Ich würde sonst nur traurig werden. Hier ist es schön."

 

Ein Geschenk für jeden

 

So wie der 47-Jährigen geht es vielen, sagt Evelin Vopel, Leiterin der Einrichtung an der Mauerstraße. „Für viele sind wir hier eine Ersatzfamilie." An keinem anderen Tag im Jahr kommen so viele Menschen in die Einrichtung, um Trost zu suchen und sich abzulenken. Gemeinsam wird gegessen — es gibt Kartoffelsalat und Würstchen. Außerdem bekommt jeder Gast ein Geschenk, das durch Spenden finanziert wird.

 

Heiligabend in der Zille
Weil ein eigener Festtagsbraten zu teuer ist, feiert Gerda Szymanski Heiligabend in der „Zille" in Goslar.
Foto: Plock

 

Niemand will allein sein

 

Auch Maria S.* will dieses Jahr mit ihrem zehnjährigen Sohn herkommen. Obwohl sie jünger aussieht, wirkt die 42-Jährige ausgezehrt und nervlich angeschlagen. „Ich hatte so viel Ärger mit den Behörden und hatte keinen Kopf für Weihnachtsvorbereitungen." Sie hat kein Problem damit, in der „Zille" zu feiern. „Hier kommen ganz normale Leute hin. Das sind nicht alles Penner oder Asoziale. Aber viele glauben das und trauen sich deshalb nicht hier her." Hinter ihr setzt sich Oliver Z an den PC und checkt seinen Kontostand. Ob er zu seiner Familie nach Darmstadt fahren kann, steht noch in den Sternen. „Ich warte seit Tagen auf mein Gehalt von der Zeitarbeitsfirma. Wenn das nicht bald da ist, muss ich wohl hier feiern." Dem schlaksigen 48-Jährigen ist anzusehen, dass er lieber wegfahren würde. Andere sind froh, dass sie eine Anlaufstelle an den Feiertagen haben. Gerda Szymanski kommt seit mehr als 30 Jahren an den Feiertagen in die Zille. Ihre Schuhe sind blitzeblank, Ohrringe und Pullover sind aufeinander abgestimmt. Die 86-Jährige kann sich einen großen Festtagsbraten zu Hause nicht leisten, erklärt sie offen. „Außerdem kenne ich so viele hier." Ein Geschenk für ihren Sohn sei zwar schon drin, „aber ich muss das ganze Jahr dafür sparen. Schulden gibt es bei mir nicht." Andere Verwandte könnte sie zwar auch besuchen, „aber die wohnen einfach zu weit weg", sagt Szymanski und widmet sich ihrer Tasse Kaffee. Das Publikum am Heiligen Abend wird bunt gemischt sein, und doch spürt man einen Zusammenhalt. Denn alleine sein an Weihnachten - das will niemand. Heiligabend ist die „Zille" von 8 bis 22 Uhr geöffnet. Am ersten und zweiten Weihnachtstag von 8 bis 15 Uhr. Die Verpflegung ist kostenlos.

*Namen von der Redaktion geändert.