Presseartikel 16.Januar 2010

 

GOSLARSCHE ZEITUNG

 

In der Zille kann jeder sein, wie er ist

 

Zur Zeit nutzen rund 40 Menschen täglich den Ort der Begegnung und Basisversorgung in der Mauerstrasse

 

Von Sabine Kempfer

 

GOSLAR. Im Flur riecht es nach Kohlrouladen. Etwa 30 Stück gehen davon am Donnerstag über den Tresen der „Zille". Im Tagestreff für in Not geratene Menschen steht um 12.15 Uhr das Mittagessen auf dem Tisch: Eine warme Mahlzeit und ein Stück Rhythmus für jene, die das Leben nicht selten aus der Bahn geworfen hat, die keine Arbeit mehr haben aber in der Zille wenigstens noch Gesprächspartner finden. Ein Mittagessen kostet 1,80 Euro, ein Preis, der anstandslos bezahlt wird. „Das hat etwas mit Würde zu tun", sagt Evelin Vopel, Leiterin der Einrichtung. „Man kann hier so konsumieren wie andere in einem Cafd." Und weil am Ende des Geldes immer noch so viel Monat übrig ist, gibt's die letzte Woche immer den „'sozialen Mittagstisch" — da kostet ein Essen nur einen Euro. Die warmen Getränke sind - wegen des Winters - in diesem Monat sogar kostenlos.

 

Basisversorgung im Tagestreff Zille Bild 1
Mehr wie ein Cafe soll er wirken, der Tagestreff Zille in der Mauerstraße. Wer hierherkommt, weiß, dass er jemanden zum Reden findet und für voll genommen wird.

 

Die Basisversorgung

 

Die Einrichtung bietet eine Basisversorgung. „Man kann hier alles nutzen, was man Zuhause nicht hat", erläutert Vopel. Im Wäscheraum wird gewaschen, die 3000 Euro aus der GZ-Glücksschweinchen-Aktion werden in eine belastbare Industriewaschmaschine investiert. Für die Suche nach Wohnungen oder Stellen stehen den Besuchern die Tageszeitung und das Internet zur Verfügung, auf dem PC können Bewerbungen geschrieben werden, innerorts ist das Telefonieren kostenfrei. Alkohol ist hier tabu, geraucht werden darf in einem Raum. Durchschnittlich werde die Zille am Tag von etwa 30 Menschen als Anlaufpunkt genutzt, in diesen Winterwochen sind es nach der Beobachtung der Mitarbeiterinnen sogar 40 pro Tag. Brigitte Siebert ist eine von ihnen. Die gebürtige Goslarerin findet die Einrichtung „super" und kommt jeden Tag dorthin. „Für das Geld kann ich Zuhause nicht kochen", sagt die muntere 62-Jährige, die nicht allein wegen des Essens kommt - auch „wegen der Unterhaltung". Sie will „mal rauskommen und was anderes sehen". Wenn sie allein in ihrer Wohnung ist, strickt sie Pullis. Fünf Tage braucht sie für einen. „Ich setze nur aus, wenn ich kein Geld mehr für die Wolle habe." Die gelernte Tankwartin hatte 36 Jahre lang viele Jobs und viel Pech - eine Firma nach der anderen schloss, darunter die Preussag, heute lebt Brigitte Siebert von Hartz IV.

 

Basisversorgung im Tagestreff Zille Bild 2
Eine warme Mahlzeit am Tag: In der Zille wird dieses Angebot täglich von rund 30 Menschen angenommen. Weihnachten kamen doppelt so viele.

 

Ein Ohr für die Sorgen

 

Ähnlich geht es Richard Wiedenhaupt. Mit seinen 57 Jahren findet auch der ehemalige Stapelfahrer der Natronag keinen Job mehr. Seit 2002 kommt er in die Zille, hat dort fünf Jahre ehrenamtlich mitgearbeitet. „Gut, dass es so etwas gibt", sagt er. Es sei alles da, es gebe Unterhaltung - und wenn man Sorgen habe, könne man auch kommen. Die ehrenamtliche Arbeit in der Zille sei wichtig und über zehn Jahre gewachsen, berichtet Vopel. Ein Teil der 21 Ehrenamtlichen besteht aus Besuchern der Zille. Für Vopel der beste Beweis gegen das Vorurteil, es handele sich bei Hartz-IV-Empfängern um Menschen, die zu faul zum Arbeiten seien - zumal immer wieder nach Arbeitsgelegenheiten gefragt werde. Von der Hilfe in der Küche über das Ausrichten von Dart-Turnieren bis zur Öffnung der Zille an den Wochenenden - die Ehrenamtlichen machen's möglich. „Wer hierherkommt, weiß, da sind Menschen, die mich so nehmen, wie ich bin", sagt Sozialarbeiterin Dorothee Nehring, „und man traut mir hier auch etwas zu." Keiner muss viel erklären, die Atmosphäre sei ungezwungen und wer neu sei, dürfe auch „einfach erst mal sitzen", sagt Vopel. Wer öfters kommt, taut dann schon auf. Wie der Mann, der sich jeden Morgen zwei Eier und einen "Küstennebel" holt. „Wir verkaufen hier doch keinen Alkohol", flachst Nehring dann. Dabei weiß sie längst, dass der Mann bloß Milch möchte.

 

Basisversorgung im Tagestreff Zille Bild3
In der Zille können Besucher unter anderem Duschen und Waschen. Der ehrenamtliche Mitarbeiter Paul Lappe füllt die Waschmaschine.
Fotos: Schenk